Thomas Cranmer – Architekt der Church of England

An einem verregneten Samstag im März des Jahres 1556 stand ein 65-jähriger Mann in Oxford vor seinem eigenen Scheiterhaufen, streckte seine rechte Hand aus, tauchte sie ins Feuer und rief: „Meine unwürdige Rechte!“ Ohne zurückzuweichen, hielt er sie in die Flammen hinein, bis sie fast vollständig zur Asche verfallen war. Thomas Cranmer löste mit diesem Akt ein Versprechen ein. Nur einige Monate zuvor hatte der Erzbischof von Canterbury seinen Abfall von der römischen Kirche schriftlich widerrufen und damit die Autorität des Papstes, sowie die Lehre der Transsubstantiation anerkannt. Die Hand, die diesen Verrat an der Reformation verfasst hatte, sollte – so Cranmer – zuerst bestraft werden. Schließlich begab er sich selbst ins Feuer und betete als letzte Worte das Gebet des Stephanus: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ (Apg. 7, 59).

Geboren wurde Thomas Cranmer am 2. Juli 1489 in Asclacton, im Osten Englands. Da sein Vater sein Land nur an den erstgeborenen Sohn vererben konnte, stand für Thomas traditionsgemäß nur eine kirchliche Laufbahn in Aussicht. Er besuchte also das Jesus College in Cambridge und machte dort zunächst Abschlüsse in Philosophie, Logik und Klassischer Literatur. Hier kam er bereits früh mit den Schriften von Erasmus und dem französischen Theologen Jacques Lefèvre d’Étaples (Jacobus Faber Stapulensis, 1450/1455-1536) in Berührung. Nach dem Tod seiner Frau begann er schließlich ein Theologiestudium und wurde 1520 als Prediger ordiniert, 1526 folgte die Promotion zum Doktor der Theologie.

Ein Jahr später kam Cranmer in den Dienst von König Henry VIII., der den Theologen brauchte, um ein Gutachten zu verfassen, welches die Annullierung seiner Ehe mit Catherine of Aragon theologisch begründete. 1532 wurde er daraufhin zum Erzbischof von Canterbury ernannt.

Noch zu Lebzeiten von Henry VIII. wandte sich Cranmer zunehmend der Theologie und Praxis der Reformation zu. 1544 schrieb er eine Gottesdienstlitanei, die in großem Maße auf einer Litanei Luthers aufbaute und zudem die erste ihrer Art darstellte, die auf Englisch herausgegeben und für den Gebrauch in den Sonntagsgottesdiensten angenommen wurde. Bis heute wird sie ein fester Bestandteil der Church of England.

Cranmers Name ist außerdem auf einzigartige Weise mit dem Book of Common Prayer verbunden. Die englische Sprache wurde im Zuge der Reformation in immer mehr Gottesdiensten im ganzen Königreich England verwendet und so versuchte man, eine gemeinsame und vollständige Gottesdienstliturgie für alle Kirchen des Landes auszuarbeiten, die alle Anlässe und Tage des Kirchenkalenders abdeckte. Durch diese Uniformität wurden Kernlehren des Protestantismus (hauptsächlich nach reformierter Auffassung), wie etwa die Rechtfertigungs- und Prädestinationslehre, sowie das Verständnis von den Sakramenten, sanktioniert. So erschien das Book of Common Prayer 1549 unter Federführung von Thomas Cranmer und wurde bis heute in zahlreichen weiteren Auflagen und Fassungen für den Gebrauch in den Kirchen der Church of England herausgegeben. Es zählt damit zu den bedeutendsten Dokumenten der Reformation.

Nach dem Tod von König Edward VI. bestieg Mary I. – eine eifrige Verteidigerin der römischen Kirche – den englischen Thron. Cranmer wurde zusammen mit Nicholas Ridley und Hugh Latimer zunächst nach Oxford versetzt, wo sie mit ihren protestantischen Lehren keinen Schaden anrichten konnten. Im Zuge einer „Säuberungsaktion“ der römisch-katholischen Gegenreformation wurden kirchliche Prozesse geführt, Ridley und Latimer wurden so 1555 zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Sie hätten sich der Häresie schuldig gemacht. Cranmer fürchtete, dass er das gleiche Schicksal erleiden müsste und widerrief sein Bekenntnis zum Protestantismus. Doch er konnte nicht lange an diesem Widerruf festhalten. Zu sehr plagte ihn sein Gewissen und so kam er schlussendlich doch noch zu der Überzeugung: Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen! (Apg. 5, 29). Durch dieses Martyrium besiegelte Gott sein Werk in England mit dem Blut des Reformators. Thomas Cranmer gilt daher, trotz seiner schwachen Augenblicke, als treuer Zeuge des Evangeliums und als Architekt der Church of England.

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Caspar Olevian

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Vorlesung zur Sozialethik, Politischen Ethik, Wirtschaftsethik